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Bonifatiusjahr 2023

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Dom

Einsturz des Südturmes - am 07. Dezember 1868

Im Jahre 1867 war ein Fotograf in Fritzlar, A. Jablonski, der eine historische Aufnahme des Fritzlarer Domes gemacht hat. Es zeigt den Dom von Westen her.

„Die Stiftskirche St. Peter in Fritzlar, 1867“, in: Historische Bilddokumente <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/bd/id/121-052> (Stand: 30.3.2011) 
„Die Stiftskirche St. Peter in Fritzlar, 1867“, in: Historische Bilddokumente <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/bd/id/121-052> (Stand: 30.3.2011)

Am 07. Dezember 1868 geschah dann ein Unglück - der südliche Turm stürzte ein und begrub etliche Kirchgänger während des Gottesdienstes.

Im Jahr 1869 brachte Herr Ph. Dietrich ein kleines Büchlein über das Unglück zum Preis von 5 Silbergroschen heraus. "Der ganze Reinertrag ist zum Besten der durch das unglückliche Ereignis so hart Betroffenen bestimmt."

Dies ist die erste Seite des Büchleins - wer es komplett lesen möchte, findet es digitalisiert von der Hochschul- und Landesbibliothek Fulda unter folgendem Link:

Für diejenigen, die diese alte Schrift (Fraktur) nicht mehr lesen können, sind die Seiten 17-21 des Büchleins hier abgeschrieben:

"Der Einsturz des Pfarrmeßturmes und das dadurch entstandene Unglück im Dom am Morgen des 7. Dezember 1868

Wie überall über einen großen Teil des europäischen Kontinents, so tobte auch über die hiesige Gegend und unsere Stadt in der Nacht vom 6. auf den 7. Dezember nach einem in der Nacht zuvor zwischen 12 und 2 Uhr vorausgegangenen starken Gewitter in der Richtung von West-Nordwest ein heftiger Sturm, welcher bei der merkwürdig gelinden Temperatur von 9 bis 10 ° R. und bei einem in hiesiger Höhe sonst nur Regen und gewöhnlichen Wind bedeutenden Barometerstande von 27´9´´ (Spinelli) gegen 6 Uhr morgens an Gewalt und Stärke derart zunahm, dass er in kurzen, abgebrochenen, aber äußerst heftigen und gewaltigen Druckstößen orkanartig wütete und mit seinen argen Zerstörungen nicht allein die Wohnungen der Menschen, sondern auch Wald und Flur grauenvoll heimsuchte. Gleichzeitig war ein solches Sausen und Brausen in der Luft nach der Angabe einiger Augenzeugen, begleitet von einzelnen Donnerschlägen und Blitzen, dass manche den letzten Tag gekommen glaubten.-


Die Zeitungsnachrichten, wonach im vergangenen Monat zu Köln, wie überhaupt am ganzen Niederrhein, unterirdische Stöße eines Erdbebens verspürt worden sind, hatten ängstliche Gemüter für die Möglichkeit naher außerordentlicher Naturereignisse empfänglich gemacht, und die hiesigen Einwohner, deren Gemütsruhe außerdem durch den vor wenigen Wochen, am Abend des St. Elisabthtages und in der darauf folgenden Nacht, stattgehabten großen Brandunfall noch nicht ganz zurückgekehrt war, mussten die außergewöhnlichen Naturereignisse an diesem Morgen mit größerer Spannung und Bangigkeit empfinden als sonst. -


Unsere Stadt liegt bekanntlich terassenartig von der Talsohle an aufsteigend circa 200 Fuß hoch am linken Ufer der Eder, auf einem geräumigen - mit Ausnahme der nördlichen - nach drei Seiten hin abfallenden Plateau, welches den von Westen kommenden Stürmen umso ungeschützter offen liegt, als es in gerader Linie mit jenem weiten Gebirgspass abfällt, welcher von der hohen Büraburg und der gegenüber gelegenen Hardt gebildet wird, und durch welchen aus den hohen, gebirgreichen waldeck` schen Landen gleich einer schönen porta hassiaca der Ederfluss in das breite, offene, von ihm benannte Tal hervorströmt. Der Dom selbst erhebt sich über dem südlichen Rande des Berges, auf welchem die Stadt liegt, und nimmt eine der höchsten Stellen ein; ihn musste schon deshalb und wegen seiner Höhe die Gewalt des Sturmes am Heftigsten treffen. Unglücklicherweise entfesselte sich erst das tobende Element in seiner größten Stärke als die Glocken schon seit einer Viertelstunde die Gläubigen zum Frühgottesdienst gerufen hatten; eine halbe Stunde früher, und der Gottesdienst wäre gewiss unterblieben und die Kirche von Menschen nicht gefüllt gewesen. Schon seit Langem war wohl bei solchem Unwetter der südliche höchste Turm, der so genannte Pfarrmessturm, der Gegenstand mancher Befürchtung gewesen, doch hatte angeblich eine noch bei der jüngsten, 1864 stattgefundenen Neubedachung des Helmes vorgenommene technische Besichtigung des Letzteren dessen fortwährende Bautüchtigkeit ergeben.

Auch an diesem Morgen hastete während des Gottesdienstes der Blick vieler Stadtbewohner, denen von ihren Wochnungen die Kirche zu übersehen möglich war, an den auffälligen Bewegungen des unnötigerweise zu der freilich kühnen und stolzen Höhe von 87 Fuß ausgebauten Dachhelmes, welcher gefasst vom Sturme seit einigen Minuten hin- und her schwankte wie der Mast eines von wildaufgeregten Wogen umhergeworfenen Schiffes.- In diesem Augenblick, als bereits verschiedene Einwohner die in der Kirche Versammelten, leider zu spät! darauf aufmerksam machen wollten, erfolgte das furchtbare Unglück! -


Herzerschütternd war die Empfindung jener, welche die halbe Stadt in der Kirche versammelt wussten und den wuchtigen Fall des hohen Turmdaches mit ansahen, dessen Sturz den Boden der Stadt weithin erdbebenartig erzittern machte. Im Falle streifte der wuchtige Dachhelm die Südseite des Mittelschiffdaches und stürzte nieder auf das Dach des südlichen Seitenschiffes, welches er größtenteils zertrümmerte, ohne dem Gewölbe, außer an zwei Stellen, sonderlichen Schaden zuzufügen. Einige vertikal ausstoßende Balken stießen ein Loch in das Gewölbe dieses Seitenschiffs. Der eine dieser Balken schlug bis auf das Pflaster des Schiffes nieder, während der andere im Loche oben hängen blieb. Überhaupt würde des Fall des Turmdaches an und für sich nicht im Stande gewesen sein. das 2,5 Fuß dicke Gewölbe durchzuschlagen, der Turmhelm riss aber in seinem jähen Sturz die Ost- und einen Teil der Nordseite des obersten steinernen Turmgeschosses mit herab, schlug des westlichen Teil des Daches des mittelschiffes total ein und hierdurch wurde der größte Teil der südlichen  Kappe des ersten westlichen Kreuzgewölbes vom Mittelschiff eingedrückt  und die an dieser Stelle in der Kirche befindlichen Menschen wurden mit Mörtel, Schutt und Trümmern überschüttet. Größer würde der Verlust an Menschenleben gewiss gewesen sein, wenn von den in der Höhe von 40 Fuß auf das Gewölbe des Langschiffes herabgefallenen Quadern irgendeine Gurte oder Rippe des Kreuzgewölbes durchgeschlagen wäre. In diesem höchst unglücklichen Falle würde wahrscheinlich das ganze erste westliche Joch den unteren Boden der Kirche mit ungeheuren Steinmassen bedeckt und mehr als hundert Menschenleben als Todesopfer gefordert haben.


Mit der Adventszeit beginnen an abweck´hselnden Wochentagen die Roratemessen des Morgens früh um 6 3/4 uhr und sind, wie bei den Katholiken überhaupt, so auch hier, der beliebteste und besuchteste Gottesdienst. Rings noch schwarze Nacht, strahlt die Kirche im hellsten Kerzenglanz und ruft mit dem feierlich vollen Chore ihrer Glocken die Gläubigen zur Frühmesse. Jung und Alt, vor Allem die Frauen und die schulpflichtige Jugend füllen die weiten Räume der Kirche.- So auch am M orgen des verhängnisvollen 7. Dezember; obgleich durch den heftigen Sturm, welcher freilich erst während des begonnenen Gottesdienstes einen wilden orkanartigen Charakter annahm, Viele zuhause zurückgehalten wurden. Schon kurz nach dem Beginnen des Gottesdienstes überkam viele Gemüter eine bange Furcht und Ahnung, indem der Sturm viele Fensterscheiben in die Kirche hinunterschleuderte und ein Ziegelgeprassel rings um die freistehende und der Gewalt des Sturmes doppelt preisgegebene Kirche verursachte, welches das Verlassen, wie das Verweilen in der Kirche gleich gefährlich machen musste. - Als der Priester am Hauptaltar eben das Evangelium las, wurde durch das gleichzeitig klirrende Fallen mehrerer Fensterabteilungen die Furcht derart gesteigert, dass mehrere, namentlich die kleinere Schuljugend, trotz dem äußeren Unwetter, die Kirche verließen und sich vor weiteren Unfällen zu retten suchten. Da, als die heilige Messe am Pfarraltar zur Präsation gekommen - an einem anderen, dem St. Johannes-Altare eine gleichzeitige zweite heilige Messe bis zum Sanctus - der Priester das "Sursum corda" gesungen und der Organist das "Habemus ad Dominum" intonierte, - in diesem für die Stadt und viele ihrer Bewohner so verhängnisvoll werdenden Augenblick ereignete sich das gräßliche Unglück! - Gleich dem Donner erdröhnte der untere Teil der Kirche so, dass sie bis tief in ihre Grundfesten hinein zu wanken schien. Plötzlich hülltze eine Staubwolke alles ein, - dann s e k u n d e n l a n g e  T o d e s s t i l l e - und ein s e e l e- und

m a r  k d u r c h d r i n g e n d e r A u f s c h r e i durchklang die ganze Kirche! - Hierauf entsetziliche Verwirrung und teilweise Finsternis, durch welche letztere die wenigen durch den gewaltigen Luftdruck und durch das Aufwirbeln der Schutt- und Staubmassen nicht ausgelöschten Kerzen und Lichter wie rotglühende Punkte das Innere nur schwach und geisterhaft erhellten! - Zu schwach würde die Feder erscheinen, wenn sie versuchen wollte, alle jene angstvollen Momente zu schildern, welche die Überlebenden in der nächsten Viertelstunde durchlebten. Wenige nur konnten sich die Ursache des Unglücks sofort klar machen, die Meisten glaubten an wirkliches Erdbeben oder an das Einschlagen eines zu gleicher Zeit tobenden Gewitters, Andere an ein Nachstürzen der ganzen Kirche und erwarteten unter gräßlichster Todesangst, Furcht und Zittern mit jedem nächsten Augenblicke das plötzliche Ende ihres Lebens und die gekommene Stunde des letzten Gerichtes! Kinder schrieen nach ihren Eltern, Eltern nach ihren Kindern, Gatten, Geschwister und Verwandte, Alle, die durch Bande der Natur, Liebe und Freundschaft verknüpft sind, riefen und suchten sich gegenseitig.  - Doch ach! nicht Alle fanden sich; - denn dort, wo die Kappe des ersten weltlichen Kreuzjoches von den schweren Quadern des Turmes durchgeschlagen war, lagen unter dem massenhaften wirren Steingerölle - 19 Menschen begraben! - ..."


Auf der letzten Seite des Büchleins findet man die Namensliste der Verstorbenen und Verwundeten dieses Tages - R.I.P.